Schatten im Sozialbereich

Schon seit geraumer Zeit, auch aufgrund von eigenen Erfahrungen, denke ich über jene Bereiche im Sozialstaat nach, die sehr klein sind hinsichtlich der Anzahl der Betroffenen aber auch kaum damit richtig erfasst in den Gesetzen und Regelungen. Meine Hypothese ist, dass es aufgrund der geringen Anzahl von Menschen in ganz speziellen Problembereich nur ungenügende Regelungen und dadurch vorhandene sozialstaatliche Unterstützung vorhanden ist. Ich gehe davon aus, dass dieses Problem so gravierend sein kann, da es auch keine Generelklausel in der Sozialgesetzbüchern gibt, dass der Sozialstaat in diesen Bereichen komplett versagt und damit sogar auch eine Lücke im Grundrechtsschutz auslöst.

In den folgenden Monaten möchte ich mich speziell um den Themenbereich Schulden/Insolvenz bei Menschen mit Behinderung kümmern. Die Hypothese dabei lautet, dass die vorhandenen Schutzvorschriften für Schuldner im Rahmen des Insolvenzverfahrens sowie in vorgelagerten Prozessen sowie im Nachgang eines Privatinsolvenzverfahrens bei Menschen mit Behinderung in unterschiedlicher Ausprägung, je nach Art der Behinderung, schlechter oder gar nicht greifen. Dazu soll es Interviews mit Betroffenen, Expert*innen und Rechtsgelehrten geben. Mal schauen, wohin mich der Erkenntnisweg bringt.

Das war noch viel weniger als nix

Aus behindertenpolitischer und selbstbetroffener Sicht ist der Ausgang der Bundestagswahl (mal wieder) ein großes Debakel. Zwar könnte es jetzt dazu kommen, dass durch eine Ampel-Koa und die Beteiligung vor allem der Grünen aber auch teilweise der FDP die menschenrechtsbasierte Behindertenpolitik etwas vorangetrieben werden könnte.

Dennoch muss festgestellt werden: es gibt mal wieder kaum Menschen mit Behinderung im neuen Parlament. In der geschrumpften und fast nicht mehr vorhandenen Linken Fraktion ist eigentlich gar niemand, der sich selbst auch zu einer Selbstbestimmt-Leben-Organisation bekennen würde. Auch bei den anderen, den „richtigen“ Fraktionen gibt es bis auf die Ausnahme bei den Grünen kaum Menschen mit Behinderung, vor allem mit dem Bekenntnis zur emanzipativen Behindertenbewegung bzw. mit sichtbarer Behinderung.

Jetzt bleibt abzuwarten, welche (nichtbehinderten) Menschen zu behindertenpolitischen Sprecher:innen der Fraktionen werden und was diese, wenn überhaupt, zu ihren zentralen Forderungen erheben.

So wie es aktuell aussieht könnten Union, AfD und Die Linke in der Opposition das neue Ampel-Projekt von der etwas einfacheren Oppositionsbank aus kritisieren. Die Frage bei der Union wird sein, ob sich hier die emanzipatorische Rolle rückwärts Richtung Friedrich Merz und der neoliberalen Politik vollzieht. Von der AfD kann ja sowieso kein Mensch mit Behinderung irgendwas, außer Verachtung, Ausgrenzung und Vernichtung, erwarten.

Die Linke als Fraktion wird sich wahrscheinlich weiterhin in Flügel und Personen zerlegen. Dabei bleiben natürlich wichtige Inhalte und deren Weiterentwicklung auf der Strecke. Leider gibt es auch dort immer noch keinen tatsächlichen Anspruch darauf, Menschen mit Behinderung in Partei und Fraktion zu beteiligen.

Linke sollte jetzt über bedingungsloses Grundeinkommen entscheiden

Die Linke sollte jetzt oder bald, zumindest aber noch vor der Kampagne zur nächsten Bundestagswahl 2021 über ihre Haltung zum bedingungslosen Grundeinkommen entscheiden. Und falls eine Mehrheit für das Konzept sein sollte, müsste eben dieses Konzept genau beschrieben sein und dann auch kommuniziert werden.

Alles andere riecht viel zu sehr nach Angst vor a) der eigenen Entscheidung und b) vor den Wähler*innen. Und nein, gar keine Entscheidung ist auch hier nicht Teil irgendeiner Lösung.

Meine Position: nach langen Jahren hadern als Gewerkschafter bin ich mittlerweile Anhänger eines sinnvoll ausgestalteten Grundeinkommens. Und natürlich auch bedingungslos. Eins hat uns Hartz-IV sicher gelehrt: Sanktionen, Repressionen und die dahinter liegende Wirtschaftsmoral haben nichts mit einem menschenwürdigen Umgang innerhalb einer Gesellschaft zu tun.

Was es noch braucht: Sogenannte Mehrbedarfe, etwa bei besonderen Lebenslagen, bei Menschen mit Behinderungen etc. müssen weiteren zusätzlich finanziert und gewährt werden. Eine persönliche Assistenz für 24 Stunden lässt sich nicht mit 1.200 Euro Grundeinkommen finanzieren. Das wären rund 12.000 Euro zu wenig.

Außerdem notwendig zu klären ist die Finanzierungsfrage: Gehts hier um Beiträge oder Steuern, um Vermögenssteuer oder etwa um europäische Lösungen. Da bin ich mir nicht so sicher; zumal ich auch kein Finanzpolitiker bin. Glaubt man aber den Berechnungen zu den aktuell vorhandenen Finanzierungen von ALG 1 und ALG 2 und anderen Grundsicherungsleistungen, müsste gar nicht soooo viel an den Steuer- oder Beitragsschrauben gedreht werden.

Und der große Vorteil vom Ganzen: Wir kämen tatsächlich mal weg von dieser irren Verwertungslogik von und über Menschen hin zum eigentlichen Wertmaßstab unserer Gesellschaft: der Würde des Menschen.